Ist die Härtefallkommission noch eine Härtefallkommission?
Bei einem tragischen Verkehrsunfall im Sommer 2016 wurde der 53-jährige Ejup Selmani von einem LKW-Anhänger überfahren, sodass ihm danach beide Beine komplett amputiert werden mussten. Seine schwer herzkranke Frau konnte er retten, indem er sie noch zur Seite stoßen konnte. Anfang 2017 stellten die Unterstützer der Familie vom Arbeitskreis Asyl Köngen einen Härtefallantrag, weil die Verletzungen so schwer waren, dass Herr Selmani noch über Jahre permanente medizinische Behandlung braucht und auch die Verarbeitung der traumatischen Erfahrungen sehr schwer ist. Eine angemessene Behandlung der Verletzungen und Folgeprobleme im Kosovo wird von Fachärzten als unmöglich eingeschätzt. Auch für die beiden erwachsenen Töchter wurden Härtefallanträge gestellt. Nun erhielten die Eheleute Selmani Anfang März die Nachricht vom Innenministerium, dass der Härtefallantrag abgelehnt sei. Sie sind damit "vollziehbar ausreisepflichtig". Kurz darauf erhielten auch die Töchter derartige Briefe: Die Härtefallkommission habe ihre Anträge angenommen, der Innenminister lehne aber trotzdem ab. Wie im Fall Stojanovic aus Stuttgart (siehe Petition an Ministerpräsident Kretschmann: Dauerhaftes Bleiberecht für Familie Stojanovic!) und in mehreren weiteren bekannt gewordenen Fällen setzte sich der Innenminister auch hier über das Votum der Härtefallkommission hinweg. Für die Töchter besteht nun noch die Chance, über in Kürze beginnende Altenpflegeausbildungen, eine "Ausbildungsduldung" zu erhalten.
Noch vor wenigen Jahren wäre auch über diese Härtefalllanträge anders entschieden worden. Seit der Amtsübernahme durch Innenminister Strobl wurde die Entscheidungspraxis bei Härtefallanträgen massiv verschärft. Bereits im Jahr 2016 wurden nur 34 der 451 Härtefallanträge von der Härtefallkommission positiv entschieden und davon nur 94 Prozent vom Innenminister angenommen. Im Jahr 2017 wurden von 520 Anträgen nur 42 von der Härtefallkommission positiv entschieden und davon nur noch 61 Prozent, also nur knapp mehr als die Hälfte, vom Innenminister angenommen. Das heißt, dass letztlich nur jeder 20. Antrag bei der Härtefallkommission zu einer positiven Entscheidung führt. Diese Tendenz setzt sich in 2018 fort. Offensichtlich betreibt also das Innenministerium aufgrund migrationspolitischer Interessen ("konsequente Abschiebung") eine faktische Abschaffung der Härtefallkommission und tut alles dafür, um nur in absoluten Ausnahmefällen eine Aufenthaltserlaubnis aufgrund eines Härtefallantrags zu erteilen. Das bedeutet, dass die Integrationsleistungen von 95 Prozent der Betroffenen, für die engagierte Unterstützer Härtefallanträge einreichen, schlicht missachtet werden.
- 11.03.2018 Stuttgarter Zeitung: Letzte Instanz für Flüchtlinge: „Der Innenminister ist strenger geworden“
- 10.03.2018 Wendlinger Zeitung: Humanitäre Gründe sind nicht vorhanden. Härtefallkommission lehnt Antrag der Eheleute Selmani auf Aufenthaltsgewährung ab
Autor: Andreas Linder (move on - menschen.rechte Tübingen e.V.), Kontakt: info@menschen-rechte-tue.org