Interview mit Istvan Farkas

Istvan Farkas ist ein 52-jähriger Asylbewerber aus Serbien, der von Abschiebung oder „freiwilliger Ausreise“ bedroht ist. Farkas engagiert sich auch in Deutschland gegen die Diskriminierung von Roma, u.a. auch bei menschen.rechte Tübingen und beim Solifonds Perspektiven. Die Nürtinger Stattzeitung hat sich mit dem politisch aktiven Journalisten unterhalten, um zu erfahren, was ihn bewegt hat, sein Heimatland zu verlassen.

Warum bist Du nach Deutschland gekommen?

Ich musste Serbien verlassen. Schon seit Jahren, mindestens seit 1988, wurde die gesellschaftliche und innenpolitische Lage im ehemaligen Jugoslawien und ihren Nachfolgestaaten immer schlimmer. Dies brachten die Balkankriege mit sich und danach das damit verbundene ökonomische Desaster. Dies führte zu schwierigen Überlebensverhältnissen für jeden Bürger, schlechte Wechsel der Organisationsform der politischen Systeme und eine Verstärkung der Kriminalität - zum einen tagtägliche, Kleinkriminalität, um überleben zu können, aber auch mafiöse Großkriminalität. Neben dieser schweren gesellschaftlichen Lage hat sich der Rechtsextremismus verstärkt mit immer weniger Anerkennung jener Bürger, die ein bisschen abwichen von der Mehrheit. Dies betraf andere Nationalitäten, Bürger anderer Ethnien oder aus anderen Städten, Behinderte, Schwule, gewisse Berufe, Frauen, Bürger anderen Glaubens, anderer Parteien, zivile Aktivisten und so weiter. Dies sind typische Anzeichen von Faschismus: Finde jemanden, der schuld ist, vernichte ihn und du wirst besser leben. Aber das war und ist noch nicht das Schlimmste. Schlimmer war, dass die Leute aus der Regierung und den Staatsämtern diese braunen Erscheinungsformen nicht gestoppt, nicht bestraft, sondern sogar mehrheitlich geholfen und sie weiter verbreitet und weiter initiiert haben, verbunden mit der Negierung, dass es solche braunen Erscheinungsformen gibt.
Aber was hat das alles mit mir zu tun und mit Ihrer Frage? Ich war ein Gegner solcher Verhältnisse und Aktivist gegen diese Leute aus der Regierung und so weiter. Zuerst war ich nur einer von vielen. Aber wir wurden jeden Tag weniger. Die meisten haben sich verkauft für Funktionen, für eine größere Wohnung oder für Arbeit in einer Fabrik. Einige wurden eingeschüchtert und erpresst. Ich habe mich nicht verkaufen wollen und mich nicht einschüchtern lassen. Lieber blieb ich, obdachlos, arbeitslos, Altmetallsammler aber weiter Aktivist und Gegner dieser Lage und dieser Leute. Deswegen wurde ich angegriffen von Rechtsextremisten, malträtiert von der Polizei, boykottiert von Politikern. Aber ich machte weiter. Bis zu dem Moment, als eine Angriffsserie begann gegen meine Verwandten, Freunde, Nachbarn, nur weil sie mich kannten. Das wollte ich nicht zulassen, aber auch nicht still und erpressbar werden. Deswegen habe ich entschieden, Serbien zu verlassen, solange diese Politiker dort in Amt und Würden sind. Und das wird noch mindestens 25 Jahre so sein.
Und nun: Warum Deutschland? Deutschland ist einer der demokratischsten Staaten in Europa. Noch immer ist hier am wenigsten „Braunismus“ zu verzeichnen. Und noch immer ist dies hier ein Rechtsstaat. Noch immer reagieren hier der Staat und die Bürger gegen Gewalt und Extremismus. All das gibt es auf dem Balkan schon seit mindestens sechzehn Jahren nicht mehr. Nach dem Balkankrieg hatten wir viel Schaden, aber das schlimmste Opfer war die Demokratie in den Köpfen, wie auch der zivile Widerstand gegen Gewalt und Unrechtsgesetze. Dies alles wurde getötet.

Wie waren die Lebensverhältnisse in Serbien?

Meine eigenen Lebensverhältnisse wurden sehr schlimm, weil ich seit etwa siebzehn Jahren obdachlos und seit über 35 Jahren arbeitslos war. Obwohl ich offiziell Lehrer, Journalist und Medienfachmann bin. Dazu habe ich etwa 30 andere Berufe über alternative Ausbildungen kennengelernt, meistens für Aufgaben für Mensch und Gesellschaft. Auch habe ich mich freiwillig betätigt und mich weitergebildet bis zum fünfzigsten Lebensjahr. Natürlich musste ich irgendwie überleben und auch etwas zu Essen haben. Deswegen habe ich Arbeit aller Art gegen Stundenlohn angenommen, für eine halbe Stunde bis zu maximal drei Tagen. Nebenher habe ich Schrott, Altmetall und Papier aus Abfallcontainern gesammelt und für wenige Cent verkauft.
Die letzten siebzehn Jahre habe ich bei Verwandten geschlafen, in Schuppen von Freunden und Bekannten, im Wald, im Park, unter Brücken, aber nie in einer eigenen Wohnung. Mein Geburtshaus wurde 1999 durch NATO-Bomben zerstört. Es wurde nicht direkt getroffen aber es wurde so zerstört, dass Nässe eindrang. Ich konnte das nicht reparieren, weil ich kein Geld hatte.

Warum machst du beim SoliFonds mit und kommst zu jedem Treffen extra von Balingen nach Nürtingen?

Ich bin Asylbewerber vom Balkan und Rom. Der SoliFonds ist eine Bürgerinitiative von wenigen Einzelpersonen und Vereinen, die Asylbewerbern vom Balkan, insbesondere Roma, hilft und sich auch für Roma aus EU-Staaten engagiert. Wir können nicht erwarten, dass uns geholfen wird, wenn wir nicht auch selbst etwas machen. Ich kann da sein, Zeugnis ablegen über uns, über unser tagtägliches Leben, über die wirklichen Gründe und kämpfen mit Wort und Tat, mit meinen Beweisen, und meiner Erinnerung. Und, was noch wichtiger ist: Ich habe wieder Hoffnung und Glauben, dass mein Widerstand nicht umsonst war.

Was passiert Dir, wenn Du zurück musst?

Ich werde in Lebensgefahr sein. Wer Asylbewerber ist und abgeschoben wurde, ist schon ein Staatsfeind für Regierung, für Politiker und für Rechtsextreme. Bei mir wiegt das noch schwerer, weil ich in Deutschland viel Wirbel machte über die wirkliche Lage und gegen Politiker, Funktionsinhaber und „Braunisten“ auf dem Balkan, vor allem in Serbien. Außerdem befürchte ich, dass ich in Serbien nach einer Gesetzveränderung aus dem Jahr 2012 als Krimineller betrachtet werde, nur weil ich Asyl beantragt habe, und 15 Jahre in Haft genommen werde. Und im Gefängnis geschehen manchmal „Unfälle“ mit Todesfolge - ohne irgendwelche Untersuchung deswegen. Oder es warten Nazi-Gruppen auf mich. Und was passiert dann? Auch so ein Unfall: „war betrunken und fiel direkt in die Kugel“ - natürlich ohne Untersuchung und Strafe. Anderes Szenario: Im Winter schlafe ich unter der Brücke, weil niemand mich in seinen Schuppen lässt, und sterbe einfach so wegen der Kälte. Das Schlimmste aber wäre, wenn ich in Serbien zum physischen Überleben still bleibe. Physisch lebe ich dann noch, aber meine Seele ist schon tot. Wie bei einem Zombie. Wie andere Millionen in diesem Zombieland.

Was für einen Eindruck hast Du von Deutschland?

Ich bin sehr zufrieden mit Deutschland, mit sehr herzlichen und guten Seelen und Gehirnen, mit den Meinungen der meisten Bürger. Ich mag die Umwelt. Baden-Württemberg sehe ich wie meine Geburtsregion in Serbien, die Vojvodina, nur viel größer. Die deutsche Kultur verehre ich schon seit meiner Grundschule und nun habe ich noch viel mehr davon kennengelernt, zum Beispiel Architektur, Volkslieder, Essen, die Willkommenskultur, neue und wichtige Künstler und Werke, den historische Hintergrund der Mentalität, die Kultur der Arbeitsliebe usw. Ich fühle mich hier wie in einer Welt, die mich einschließt und wertvoll ist und die mich an das ehemalige normale Jugoslawien erinnert aus der Zeit vor 1983/84. Da gab es zwar auch Fanatiker und schreckliche Situationen, leider auch Neonazis, aber die waren nicht inmitten der Gesellschaft und der Gesetzeskontrolle. Und man konnte dort noch etwas verändern, verbessern, ins Normale zurückholen.
Aber es gibt eine Sache, die mir nicht gefallen kann. Und das ist die deutsche Regelung der so genannten sicheren Herkunftsstaaten, nicht nur weil mich dies selbst und die Roma aus dem Balkan betrifft, sondern weil es falsch ist. Ich habe es erlebt, dass Serbien kein sicherer Staat für jeden Bürger ist.

Foto: Manuel Werner

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